Kehrseiten und Höhenmeter

Gleich vorneweg, die Strasse, die es nun de facto durch das Kali Gandaki Tal von Muktinath bis Beni gibt, hat auch für uns persönlich viele Vorteile und sie war einer der Gründe, weshalb wir diese Region zum Trekken mit unseren Kindern gewählt haben. Wir haben zwar versucht, das Wandern auf ihr, wo immer es ging, zu vermeiden, aber zu wissen, dass wir – wenn etwas passiert – “schnell” Hilfe bekommen bzw. die Möglichkeit haben würden, motorisiert gen Zivilisation zu fahren, war uns wichtig. Diese Strasse allerdings, von Einheimischen schlicht “highway” genannt und in Wirklichkeit nicht mehr als eine grobe Schotter-Staub-Piste, bringt Nebenwirkungen mit sich, die dem Tal nicht nur Gutes tun. Natur und Landschaft dort sind und bleiben schlichtweg grandios im wahrsten Sinne des Wortes und wir genossen die Ruhe, Abgeschiedenheit und Vielfalt auf dem Weg von knapp 4000 auf gut 1000 Meter jeden einzelnen Tag, aber wir waren auch immer wieder erschrocken über die vielen im Sterben liegenden Ortschaften am Weg. Insbesondere ehemalige durch Trekkingtourismus gewachsene Dörfer, die aber jetzt am straßenfernen Flussufer liegen, bestehen heute mehr aus verfallenden Lodges und Tee-Häusern als aus bewirtschafteten Bauernhöfen.

Da wir in einem dieser netten Orte auf dem Weg nach Süden nächtigen wollten, hatte dies dann einmal auch ganz praktische Folgen für unsere kleine Reisegruppe. Denn aus Ermangelung an überdachten Unterkünften wurde aus einer geplanten 10km-Tagesetappe ein 20km-“Monstermarsch” von Kalopani bis ins – aufgrund heisser Quellen – touristisch erschlossene aber nicht mehr halb so schön gelegene Tatopani. Der überaus tapfere Ben erledigte, wohl mit dem Wissen um die fehlenden Alternativen, auch diese Aufgabe mit Bravour und der nötigen Gelassenheit eines ans Wandern Gewöhnten. Und Marlene war eine prima Reiterin auf Mamas Rücken, vor allem beim Schweinsgalopp der letzten Meter aufgrund drohender Dunkelheit. Am darauffolgenden, wohlverdienten Ruhetag lagen wir dann aber alle überaus zufrieden mit unseren müden Beinen in den heißen Quellen und Lene und Benni nutzten den Lodgegarten zu genügsamem Spielen mit dem hauseigenen Katzenbaby.
Doch nicht nur von der Straße abgeschnittene Orte scheinen in Zeiten, in denen die meisten Trekker die Annapurnarunde an Jomsom”s Busstation beenden, mit dem Überleben zu kämpfen. Selbst in Tukuche, einem ehemaligen Handelszentrum auf der Route von China nach Indien, fiel der Blick durch die Fenster der romantischen, weißen Häuserfassaden viel zu oft auf verlassene, in sich zusammenfallende Ruinen und verwildernde Obstgärten. Unser Vorteil hier allerdings war die Tatsache, dass die gepflegtesten der erhaltenen Bauten als durchaus komfortable Gästehäuser dienen und uns eine geruhsame Unterkunft waren! Wir wünschen uns, dass es der nepalesischen Tourismusbehörde mit der Fertigstellung einer durchgehenden Wanderroute auf der strassenfernen Talseite gelingt, wieder mehr Trekker zum Begehen des Kali Gandaki Tals zu bewegen. Lohnen tut sich dieser Weg voll und ganz – nicht nur in unseren Augen. So bleibt uns auch das fröhliche und nette Gespräch mit einem alleine wandernden Holländer in bester Erinnerung, der – die komplette Annapurnarunde gehend – diesen Teil entlang des breiten Flussbettes und durch helle Wälder als den besten der ganzen Runde bezeichnete und, wie wir, nicht mit dem Schwärmen über die Vielfalt und Schönheit aufhören konnte. So dauerte das Geplauder am Ende wohl recht lange, denn die beiden Kinder hatten still und heimlich die Gelegenheit genutzt und beim Indianerspiel im Wald den Tagesvorrat an Wanderkeksen geplündert 🙂

Jetzt aber, nach unserer Rückkehr in die laute Zivilisation von Pokhara, haben beide “Kleinen” auch erstmal genug vom Wandern und freuen sich sichtlich über die heimische Umgebung im Kinderdorf mit Kuscheltier und Fußball. Nach unserem so schön erholsamen Ruhetag in Tatopani waren es denn auch für Alle noch anstrengende Tage bergauf bergab. Zuerst bergauf nach Ghorepani – ein knackiges 1700-Höhenmeter-Oberschenkeltraining in zwei Tagen – und dann wieder bergab nach Nayapul – der Busstation nach Pokhara mit gemeiner 1900m-Knie-und-Wadenfolter. Toll, dieses Wandern! Dazwischen lagen drei Tage Ghorepani, während welcher wir inmitten eines blühenden Rhododendronwaldes auf 3000m von einem Gewitter mit Hagel und Sturmböen überrascht wurden und völlig durchnässt mit Sack und Pack in unser altes Hostel umkehrten – wir waren eigentlich schon auf dem Weg weiter… Aber immerhin, der Rhododendron blühte. Am nächsten Tag lag Mama dann mit Fieber im Bett und wir verlängerten unseren Aufenthalt bis zu ihrer Genesung. Mal wieder hatten wir aber auch hierbei Glück im Unglück, denn unser Zimmer lag so außerordentlich exponiert, dass selbst Lena von ihrem Krankenlager aus die schönsten Sonnenauf- und -untergänge über Dhaulagiri und Annapurna miterleben konnte ohne aus ihrem Schlafsack rauszumüssen. Noch dazu waren wir in diesen Tagen die Gäste der freundlichsten und zuvorkommendsten Lodgefamilie, die man sich in einer solchen Situation nur wünschen kann. Vielen Dank an das “Hungry Eye Guest House”!!!

Nun sind wir alle etwas wandermüde, Papa freut sich, nicht mehr jeden Tag das Gepäck der Familie schultern zu müssen (Respekt allen Trägern dieser Welt) und Mama freut sich neben ihrer Genesung besonders darüber, dass sie ja doch noch ein drittes und viertes
T-Shirt besitzt. Marlene hält ihren Wuffi in den Armen und Ben backt Pizza aus echtem Nepalmatsch. Wir sind glücklich und reisen weiter…
Auf bald
dieSteens

One Reply to “Kehrseiten und Höhenmeter”

  1. es ist eine große freude eure berichte zu lesen!
    und dass wuffi soviel von der welt zu sehen bekommt, hätte ich damals auch nicht gedacht =)
    gehabt euch wohl, die herzlichsten grüße an alle und bis bald

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